Kompetenzstufen

Kompetenzstufen des Rechtschreibens

Mit dem Testsystem schreib.on kann das Gesamtniveau der orthografischen Kompetenz sowie der Grad der Aneignung verschiedener Strategien und Zugriffsweisen beim Rechtschreiben einheitlich für Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 12 und darüber hinaus für Erwachsene bestimmt werden. Als Vergleichswerte dienen dazu Prozentränge und T-Werte sowie Strategieprofile. Dabei wird die Leistung des einzelnen Schreibers mit der Leistungsverteilung von Referenzgruppen (Normen für einzelne Jahrgangsstufen, für Schulformen, für Deutschland) verglichen. Es handelt sich hierbei also stets um einen sozialen Vergleich.

Eine weitere Möglichkeit zur Beschreibung der erreichten Kompetenzen bilden Kompetenzstufen, bei denen die individuelle Rechtschreibleistung auf einer einheitlichen Kompetenzskala eingeordnet wird, die durch die Schwierigkeiten der zu schreibenden Wörter, Wortstellen und Satzzeichen bestimmt ist. Sie reicht von elementaren bis zu hoch entwickelten Leistungsniveaus und beschreibt die Kompetenz des einzelnen Lernenden unabhängig von der Jahrgangsstufe, Schulform oder sozialen Umgebung.

Für die Förderplanung bieten Kompetenzstufen entscheidende Vorteile. Die  Förderziele können an den inhaltlichen Anforderungen ausgerichtet werden, die vom Lernenden schon gemeistert bzw. noch nicht erreicht werden – vollkommen unabhängig von der Lerngruppe, in der sich der Lernende ansonsten befindet. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für eine Individualisierung der Förderung. 

Parameter für alle schreib.on-Wörter, Wortstellen und Satzzeichen

Die methodologische Grundlage für die Beschreibung von Kompetenzstufen bildet die sog. Item-Response-Theorie (Rasch-Modell), nach der sowohl die Skalenwerte (Parameter) für die Personenfähigkeiten als auch die Schwierigkeiten der einzelnen Aufgaben berechnet und auf derselben Metrik abgebildet werden (vgl. Rost 1996). Berechnet wurden die Personen- und Aufgabenparameter mit Hilfe des Skalierungsprogramms ConQuest (Wu et al. 2007).

Es wurden insgesamt 70.659 online eingegebene Testergebnisse für die Klassenstufen 1 bis 12  in die Analyse einbezogen.

Ausgewertet wurden die Schreibungen der Wörter, der Graphemstellen innerhalb der Wörter sowie die Satzzeichen, sofern diese in der Schreibaufgabe gefordert waren. Insgesamt flossen fast 4.000 einzelne Testitems in die Skalierung ein. Darunter sind 659 vollständig zu schreibende Wörter, 2.129 einzelne Wortstellen (Grapheme bzw. Graphemverbindungen), 301 Wortstellen mit Groß-/Klein- bzw. Zusammen-/Getrenntschreibung, 102 Satzzeichen und 740 Fehlertext-Wortstellen.

Die Skalierung konnte demnach auf Grundlage eines sehr umfangreichen und detaillierten Datensatzes erfolgen. 

Überprüfung der Modelleigenschaften

Die Überprüfung der Modelleigenschaften der  einzelnen Testitems erfolgte in mehreren Schritten:

Im ersten Schritt wurde die Modellkonformität der Testaufgaben jeder einzelnen Jahrgangsversion überprüft. (Als Kriterien für eine ausreichende Modellpassung der einzelnen Aufgaben galten sog. Item-Fit-Werte zwischen 0,8 und 1,2 sowie Werte < 1,96 für den punkt-biserialen t-Test.) Bis auf ganz wenige Ausnahmefälle, die fast immer die Schreibung von Kurzwörtern (Artikel, Pronomen, Hilfsverben) in ganzen Sätzen betrafen, erfüllten die allermeisten schreib.on-Items die Anforderungen des eindimensionalen Rasch-Modells.

Um die Testitems der verschiedenen Jahrgangs- und Parallelversionen auf einer gemeinsamen Kompetenzskala anzuordnen, wurden als sog. Ankeritems die identischen Wörter und Lupenstellen aus verschiedenen Versionen herangezogen. Mit ihrer Hilfe konnten die Parameter der Kompetenzskala für eine Jahrgangsstufe oder einer Paralleltestform auf die nächste übertragen werden.

Um die Belastbarkeit dieser Methode zu überprüfen, wurden die Parameter für die Ankeritems aus verschiedenen Jahrgangs- und Parallelversionen von schreib.on (Wörter, Graphemstellen, Satzzeichen) miteinander korreliert. Die Korrelation der Parameter für die Ankeritems aus verschiedenen Testversionen von schreib.on ergab einen mittleren Wert von 0,98, d.h. dass die relative Position der schreib.on-Ankeritems in verschiedenen Testskalen nahezu identisch ist.

Damit liegt für die allermeisten Testitems in verschiedenen Versionen eine transitive Beziehung untereinander vor. Das bedeutet, dass leichtere bzw. schwierigere Items (Wörter, Graphemstellen, Satzzeichen) in verschiedenen Testversionen in Relation zu den übrigen stets leichter bzw. schwieriger bleiben, auch wenn sich ihre absoluten Lösungshäufigkeiten entsprechend den sich entwickelnden Personenfähigkeiten ändern.

Infolge dieser Transitivität der allermeisten Ankeritems ist es statthaft, verschiedene Teilskalen auf der Grundlage der Werte der jeweiligen Ankeritems miteinander zu verknüpfen. 

-       die in der Schreibung zu realisierenden Rechtschreibstrategien (vom lautbezogenen alphabetischen Schreiben über die Berücksichtigung orthografischer Regeln und die Ableitung morphematischer Elemente bis zur wortübergreifenden Strategie),

-       die Komplexität der sprachlichen Strukturen (von einfachen Häufigkeitswörtern über Wörter mit transparenten Regelungen bis zu selten vorkommenden Besonderheiten bei der Wort- und Satzschreibung).

Aus der großen Vielzahl der Wörter, Wortstellen und Satzzeichen aller schreib.on-Versionen mit ihren unterschiedlichsten Rechtschreibanforderungen wurden sich insgesamt 12 Kompetenzstufen abgegrenzt. Diese Kompetenzstufen entsprechen inhaltlich denen der HSP, die sich dort auf Wörter und sog. Lupenstellen beziehen (vgl. May, Vieluf & Malitzky 2012, S. 48ff) und ebenso den Kompetenzstufen für Rechtschreibung im Testsystem KEKS (vgl. May & Bennöhr 2013, S. 57ff).

Stufe 0 bezeichnet den Entwicklungsstand der Kinder vor Eintritt in die eigentliche schriftsprachliche Entwicklung, bei dem sie gesprochene Wörter noch nicht mit regulären Buchstaben bezeichnen können.

Die Stufen 1 bis 4 werden durch unterschiedlich weit reichende Zugriffsweisen der alphabetischen Strategie bestimmt: vom Einzellaut über erste Lautfolgen bis zur weitgehend vollständigen Schreibung ganzer Wörter.

Ab Stufe 5 wird die – weiterhin noch auszubauende – alphabetische Strategie ergänzt durch die Beachtung orthografischer Regeln und morphematisch abzuleitender Wortstellen. Die schrittweise Vervollkommnung der orthografischen sowie morphematischen Rechtschreibstrategien reicht im Wesentlichen bis zur Stufe 10. Mit dieser wird die Herausbildung der orthografischen Kompetenz zur Schreibung der üblichen Wörter abgeschlossen.

Ab Stufe 6 werden Aspekte der wortübergreifenden Strategie (Großschreibung von klar erkennbaren Nomen, Markieren von Punkten am Satzende) angewandt. Diese Strategie muss jedoch noch über einige Stufen hinweg weiter ausgebaut werden.

Jenseits der Stufe 10 gibt es noch besondere Anforderungen, für die eine relativ hohe Rechtschreibkompetenz erforderlich ist, die in Stufe 12 in einem regelrechten Expertentum gipfelt.

Tabelle 1 zeigt die Beschreibungen der Kompetenzstufen mit Beispielen aus verschiedenen schreib.on-Testversionen. 

Bestimmung der individuellen Kompetenzstufe

Theoretisch ist das Verhältnis der einzelnen Kompetenzstufen zueinander wie die Sprossen einer Leiter, die hintereinander erklommen werden. Ist jemand auf einer höheren Sprosse angekommen, besitzt er damit auch die Fähigkeit, die niedrigeren Sprossen zu besteigen. Diese wurden sozusagen mit dem Erklimmen der höheren Leitersprosse mit „erledigt“. (Diese Art von Aufgabenreihung wird als Guttman-Skala bezeichnet).

Im Alltag wird dieses Grundprinzip allerdings häufig durchbrochen, wenn z.B. jemand an einer relativ einfachen Aufgabe scheitert, obwohl er eigentlich schon die Fähigkeit besitzt, höhere Anforderungen zu meistern. Man stelle sich z.B. einen Hochspringer vor, der eigentlich 1,70 Meter überqueren kann, jedoch dann plötzlich die Latte auf einer Höhe von 1,50 Meter reißt. Es können Ablenkung, Nervosität, schlechte Tagesform usw. eine Rolle spielen.

Dies zeigt sich auch beim Rechtschreiben. Man macht auch mal „einfache Fehler“, obwohl die Kompetenz bereits für schwierigere Wörter reichen würde. Man muss sich also die Kompetenzstufen als ein Maß dafür vorstellen, was jemand „eigentlich“ bewältigen könnte. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese grundsätzlich vorhandene Kompetenz unbedingt in jeder Schreibsituation realisiert werden kann – ähnlich wie beim Hochsprung.

Da in einem Rechtschreibtest unterschiedlich schwierige Wörter und Satzzeichen zu schreiben sind, kann es vorkommen, dass jemand auch mal leichtere Wörter fehlerhaft schreibt, deren Anforderungen eigentlich unter seiner Kompetenzstufe liegen.

Ganz präzise könnte man die individuelle Rechtschreibkompetenz beschreiben, indem man alle in dem Test richtig geschriebenen Wörter bzw. Wortstellen und Satzzeichen auflistet, die den einzelnen Kompetenzstufen entsprechen. Dies wäre jedoch angesichts vieler Wortstellen relativ aufwändig. Und wenn die Richtig- und Falschschreibungen unterschiedlichen Kompetenzniveaus zuzuordnen sind, wäre die Interpretation auch nicht so einfach.

Daher wird in schreib.on die Kompetenzstufe über die Anzahl der richtig geschriebenen Grapheme bestimmt. Aus diesem Gesamtwert für die Rechtschreibleistung ergibt sich der statistisch wahrscheinlichste Wert für die Kompetenzstufe. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit könnte die individuelle Kompetenzstufe möglicherweise auch etwas höher oder etwas niedriger ausfallen. Man sollte bei der Interpretation also eine gewisse Schwankungsbreite berücksichtigen.

Vor allem besagt die zugeordnete Kompetenzstufe aus, dass der Schreiber zwar die Anforderungen auf diesem Niveau bewältigen kann, dies jedoch im Alltag nicht immer zeigt (z.B. wegen Ablenkung, Aufregung, Irrtümer usw.).